Radtour von Gent entlang der Leie
Gent ist eine traumhaft schöne Stadt. Der Charme von Flandern spiegelt sich in den historischen Fassaden an der Graslei und Korenlei in alten Gildehäusern aus dem 15. Jahrhundert wider. Kunst und Kultur, die beiden Flüsse Schelde und Leie, die in Gent aufeinandertreffen und leckere kulinarische Verlockungen an jeder Straßenecke bescheren soviel Abwechslung, dass man sich allein damit ein ganzes Wochenende beschäftigen könnte. Doch ich habe mir fest vorgenommen, auch die Umgebung von Gent kennenzulernen, denn zwischen Gent und der kleineren Stadt Deinze soll eine der schönsten Landschaften von Belgien und Ostflandern liegen. Ich habe daher beschlossen mir ein Fahrrad auszuleihen und an der Leie entlang zu fahren. Es führt ein sehr guter Radweg direkt vom Stadtzentrum entlang der Leie in das Künstlerdorf Sint-Martens-Latem und von dort nach Schloß Ooindonk. Die Tour ist mit Hin- und Rückweg, ca. 55 km lang. Ich sollte die Strecke nach Ooindonk also in gemütlichem Tempo, mit Rastpausen und Fotostopps in 2 Stunden gut schaffen.
Radfahren in Flandern: Von Knotenpunkt zu Knotenpunkt – mit dem Fahrrad entlang der Leie
Einen Fahrradverleih habe ich schnell ausfindig gemacht. Ich erzähle den Herren von meinen Plänen, sie sind so freundlich, schreiben mir den Namen der Fahrradkarte auf, die ich brauche und sagen mir, wo ich die kaufen kann. Während ich schnell die Fahrradkarte kaufe, machen sie die Räder startklar, finden eine Lösung für meine sperrige Kameratasche und haben im Internet noch die Nummern der Knotenpunkte recherchiert, die ich von Gent zum Schloß Ooindonk abfahren muss. Belgien hat sich nämlich ein ausgeklügeltes Radweg-Netz ausgedacht: es besteht aus Knotenpunkten. Jeder Knotenpunkt hat eine Nummer, man fährt also von Knotenpunkt nach Knotenpunkt. Dieses System, das eigentlich idiotensicher ist, stellt sich für mich dann leider doch etwas kompliziert dar. Ich verpasse nämlich bereits den ersten Knotenpunkt und verirre mich in den Straßen von Gent. Fängt ja gut an. Ich verlasse mich lieber auf die Freundlichkeit der Menschen in Gent und frage nach dem Weg hinaus aus der Stadt. Jeder schaut mich verduzt an, wenn ich erzähle, dass ich zum Schloß Ooindonk fahren will: so weit? Ich schmunzle, 25 Km sind doch keine Entfernung – vielleicht denken die Belgier aber anders, wenn es um Entfernungen geht, weil ihr Land viel kleiner und kompakter ist? Irgendwann habe ich den rechten Weg gefunden. Und ich bin happy, denn mit jedem Meter scheint die Strecke schöner zu werden. Eigentlich brauche ich jetzt nur noch dem Flußlauf der Leie zu folgen.
Etappe 1: Immer dem Leie-Kanal folgen – vom Stadtkern in Gent ins Leieland
Dann kam der Regen. Ich habe es ja befürchtet. Schon am Morgen hatte es in Strömen gegossen. Ich habe die erste regenfreie Minute genutzt und die Radtour trotzdem gewagt. Zum Glück hatte ich mir morgens in Gent noch schnell eine Regenjacke gekauft, darüber bin ich jetzt wahnsinnig froh. Ich bin guten Mutes, dass der Regenschauer gleich wieder aufhören wird. Und das tat er auch. Nach fünf Minuten Pause auf einer Bank unter dem Blätterdach alter Weiden (direkt an Knotenpunkt 52) ging die Tour im Sonnenschein weiter. Vorbei an schönen Villen am Stadtrand von Gent, vorbei an der Rudersportbahn am westlichen Stadtrand. Entlang an einem Kanal, verlasse ich den Stadtrand von Gent.
Die Fahrradtour wird hier richtig entspannt. Ja, man schafft es hier im Leieland aktiv zu sein und sich dabei zu entspannen. Auf dem Weg begnenen mir kleine Ortschaften mit süßen kleinen Backsteinhäusern. Entlang der Leie reiht sich eine Villa an die andere – ich bin wahnsinning neidisch auf ihre Bewohner, den jedes Haus hier hat einen wunderschönen Garten mit eigenem Bootsanleger oder Badesteg. Das Wasser der Leie ist so sauber, dass sich sogar Haubentaucher darin wohlfühlen. Den Samstagmittag verbringen die Menschen hier nicht wie die Schwaben mit Autoputzen und arbeiten sondern mit Kanufahren auf der Leie vor der Haustür. Oder mit Radfahren. Hin und wieder ziehen Rennradler an mir vorbei. Die Gegend hier ist beliebt bei Radsportlern und z.T. auch Teil der Tour de France. Ich bin lieber gemütlich unterwegs. Ich muss sowieso alle paar Meter anhalten und ein Foto von dieser traumhaften Gegend machen.
Etappe 2: Aktiv entschleunigen bei der Radtour entlang der Leie
Das Land, es ist flach und so grün. Die Flußlandschaft wirkt so leise, so friedlich, so zeitlos schön. Sie wirkt wie eine seelische Entspannungsmassage auf mich. Neben mir schippert gemütlich ein Kahn. Mit meinem Rad bin ich sogar schneller. Noch habe ich es nicht ganz begriffen, dass das hier kein Wettrennen ist, ich brauche noch ein paar Kilometer, um mich der Langsamkeit der Landschaft anzupassen und zu merken, wie gut das tut.
Der Fluß fließt still und leise vor sich hin, der Kahn so langsam als ticke die Zeit abseits des Stadtkerns von Gent anders. Entschleunigung pur. Genau das was ich nach dem abwechslungsreichen Kulturprogram in Gent suche.
Die Entdeckung der Langsamkeit – oder aktiv entschleunigen
Die Landschaft zwischen Gent und Deinze ist geprägt von Mäandern und Polderlandschaften. Im Mittelalter war Gent Hochburg der Tuchherstellung. Hier auf diesen Feldern wurde Flachs angebaut und verarbeitet. Er war damals die Grundlage für die Tuchherstellung, der Gent seine wirtschaftliche Blüte verdankte. Heute grasen noch immer Kühe und Pferde auf den saftigen Wiesen. Hier zu radeln ist wie durch eines dieser alten flämischen Gemälde zu huschen – als stünde man mitten drin, im Bild. Vor meinem geistigen Auge sehe ich wie die alten Meister hier und da ihre Pinselstriche ansetzten, um genau dieses Bild zu malen, durch das ich gerade radle.
Als radle man durch eines dieser flämischen Gemälde der alten Meister
Etappe 3: Wo Kühe und Künstler aufeinandertreffen – im Künstlerdorf Sint Martens Latem
Tatsächlich haben sich hier einige berühmte Künstler niedergelassen, um sich von der Leielandschaft inspirieren zu lassen. Im 19. Jahrhundert gründeten sie die Künstlerkolonie in Sint Martens Latem. Später im 20. Jahrhundet, folgten die Expressionisten und prägten die Latemer Schule. Unter ihnen zum Beispiel Constant Permeke. In Sant Martens Latem mache ich eine Pause in der Auberge du Pecheur. Von hier aus ist es nur noch ein Katzensprung bis zu Schloß Ooindonk. Das Wasserschloß aus der Renaissance des 13. Jahrhundert soll zu den schönsten Schlössern in Belgien gehören.
Leider prasselt an dieser Stelle wieder ein Regenschauer auf mich nieder. Schweren Herzens musste ich die Radtour hier abbrechen, denn der Regen wurde leider immer stärker und hörte nicht mehr auf. Zu gerne hätte ich mir das Schloß Ooindonk, das noch immer von einer Herrschaftsfamilie bewohnt wird, aus der Nähe angeschaut. Aber gegen das Wetter bin ich machtlos.
Fazit: Die Radtour von Gent entlang der Leie hat sich auf jeden Fall gelohnt. Die Leiestreck ist gemütlich zu fahren, die Tour schafft man gut in 1-2 Stunden von Gent zu Schloß Ooindonk (wenn kein Regen kommt). Ich hätte nicht gedacht, dass hinter Gent so eine traumhaft schöne Landschaft auf mich wartet. Ja, es ist möglich aktiv zu entschleunigen. Hier, im Leieland, radelt man im Hier und Jetzt zurück zur Langsamkeit.
Infos zur Radtour von Gent entlang der Leie:
Die Strecke/ Knotenpunkte von Gent zum Schloß Ooindonk:
4, 57, 58, 61, 71, 74, 76, 86, 90, 12
Nicht abschrecken lassen von dem Knotenpunktsystem. Auf den ersten Blick wirkte es auf mich zwar verwirrend, hat man das System aber einmal verstanden, ist es ziemlich einfach. Zur Not einfach die freundlichen Leute in und um Gent nach dem Weg fragen.
Länge: Hin- und Rückweg ca. 55 Kilometer
Dauer: ca. 2 Stunden pro Strecke in gemütlichem Tempo und mit Stopps
Step 1: Fahrradkarte mit Knotenpunkten kaufen
Kosten: 6 EUR
Wo: erhätlich bei der Touristeninformation oder in der Buchhandlung gegenüber der St. Bavo Kathedrale.
- ggf. Regenjacke einpacken 😉
Step 2: Fahrrad ausleihen
Adresse: Max Mobiel – Fietspunt Gent Centrum
Emile Braunplein 40 Z,
(nehmen auch Reservierungen an/ bei Gruppen empfiehlt sich das: fietspunt@gent.be)
Kosten für den halben Tag: 7 Euro (reicht für die Tour)
Kosten für den ganzen Tag: 14 Euro
- Satteltaschen für Gepäck gibt es kostenlos auf Anfrage auch dazu.
- Der Fahrradverleich schließt um 18 Uhr, man kann die Räder aber auch am nächsten Tag zurückbringen oder selbst in der Garage abstellen. Die Pfandgebühr erhält man in jedem Fall zurück.
Step 3: Auf dem Leiestreck-Radweg: Landschaft genießen und aktiv entschleunigen
Die gesamte Landschaft ist einfach ein Traum. Viele kleine Dörfer entlang der Strecke sind ebenso reizvoll. Brücken, Mühlen, Abteien – die Leiestreek bietet alles. Der Leiestreck-Radweg ist eben und gut befahrbar und führt direkt an der Leie entlang bis zum Schloß Ooindonk.
- Der Radweg eignet sich für jung und alt und für jede Schwierigkeitsstufe.
Step 4: Mittagspause im Künstlerdorf Sint-Martens-Latem
Adresse: Auberge du Pecheur: Pontstraat 41, Sint-Martens-Latem 9831, Belgien
- In Deurle kann man zudem die Werke der flämischen Expressionisten der Latemer Schule im Museum anschauen. Deurle ist ein Ortsteil von Sint-Martens-Latem und liegt auf der Strecke.
Step 5: Alternative Zug zum Schloß Ooindonk
Falls es regnet oder ihr einen Schwächeanfall erleiden solltet, es fährt ein Zug zurück nach Gent 😉
Infos gibt es vor Ort und/ oder bei der Touristeninformation und bei flandern.com
mein Hoteltipp für Gent:
Übernachtet habe ich im Hotel Gravensteen. Das drei Sterne Hotel liegt sehr zentral in der historischen Altstadt, gleich gegenüber der Burg Gravensteen. Keine zwei Minuten davon befindet sich das Design-Museum, das ich auch besucht habe, gegenüber mein Lieblingscafé in Gent, sowie die Fleischhalle. Graslei und Korenmarkt: 5 Minuten zu Fuß. Das Hotel bietet ein gutes Frühstücksbuffet.
Mehr zu Gent:
Vielen Dank an Flandern Belgien für die Einladung und Unterstützung dieser Reise. Ich habe wieder ein für mich neues Land entdecken dürfen, das mich überrascht hat und in das ich auf jeden Fall zurückkommen werde. Für länger. Und definitiv mit dem Rad entlang der Leie.