Taxifahren in Peking: „Welcome to Beijing Taxi“

„Welcome to Beijing Taxi“ – so begrüsst mich die automatische Tonbandansage, wenn ich in Peking ein Taxi besteige. Taxifahren in Peking ist unerlässlich und trotzdem eine Herausforderung an die interkulturellen Kompetenzen.

Ich war mit Freunden in einer typischen Expatbar in Sanlitun feiern. Und jetzt ist es spät geworden. Wir laufen noch zusammen zum Arbeiterstadion, denn hier stehen die Taxis. Um diese Uhrzeit fährt außer dem Taxi nichts mehr. Ich muss in den Haidian District am anderen Ende der Stadt und am anderen Ende der Stadt heißt in Peking mindestens eine halbstündige Fahrt mit dem Taxi. Die Taxifahrer schnarchen bei offenen Türen lautstark um die Wette. Ganz Peking schläft schon längst. Nur die Expats, die sind unersättlich und streifen durch Sanlituns Nachtleben. Meine beiden Freundinnen steigen je eine ins Taxi, jeder hat eine andere Richtung irgendwo hin in den Haidian District, irgendwo in Peking. Ich sehe sie noch davonbrausen, während ich durch die offenen Fenster der herumstehenden Taxis schaue und hoffe, hier einen Fahrer zu finden. Ein Glatzkopf nimmt mich zuerst zur Kenntnis. Irgendwas in mir drin lässt mich zögern, doch ich steige ein. In Peking musst du lernen zu vertrauen, sonst wirst du nicht weit kommen. Manchmal wird dieses Vertrauen ausgenutzt, aber zum Glück nicht so oft.

Nihao, sage ich. Eines der fünf Wörter Chinesisch, die ich gelernt habe. Zu mehr reicht mein Ehrgeiz nicht. Ich halte dem Fahrer die Visitenkarte, auf der meine Adresse in chinesischen Schriftzeichen draufsteht, unter die Nase. Das habe ich als erstes gelernt in China: immer die Visitenkarte dabei haben, auf der deine Adresse mit Schriftzeichen draufsteht. Das ist überlebenswichtig. Denn ohne wäre ich wohl nie irgendwo angekommen. Kein einziger Taxifahrer in China hat nur ein einziges Englisches Wort gesprochen.  Einmal habe ich einem Taxifahrer eine Stadtkarte unter die Nase gehalten und der ist erschrocken weitergefahren ohne ein einziges Wort zu sagen. Er konnte mit einem Stadtplan nichts anfangen, vielleicht hat er noch nie einen gesehen.

Der Fahrtwind weht durch die offenen Fenster. Der Taxifahrer hört wieder eines dieser Hörspiele oder er dreht das Radio so laut auf, dass mein Blut in den Adern vibriert, nur damit er beim Fahren nicht einschläft. Manchmal fährt er Schlangenlinien. In Peking musst du aufhören, dir über sowas Gedanken zu machen. Du musst einfach vertrauen. Du hast sowieso keine andere Wahl. Das hilft manchmal ungemein. Mir dröhnt der Kopf. Mir wird schwindlig. Der Alkohol aus der Studentkneipe war sicherlich gefakt, denn ich habe nicht viel getrunken und in einem Land, in dem alles gefakt ist, ist auch der Alkohol gefakt. Er macht wahnsinnige Kopfschmerzen, doch davon will man an so einem Abend in Sanlitun nix wissen. Man ist froh, wenn man mit Ausländeren einen heben kann, das hat sowas von Heimat, wenn man in Peking ist.

Ich lehne mich auf der Rückbank zurück. Wann kann ich endlich ins Bett fallen? Und da sehe ich über mir ein Autobahnschild mit der Aufschrift „Great Wall“. Plötzlich bin ich hellwach. Mir wird klar, hier sind wir falsch.  Aber sowas von falsch. Der Taxifahrer fährt grade über den dritten Ring hinaus aus der Stadt in Richtung Großer Mauer. Ich werde nervös und rutsche auf meinem Sitz herum. Great Wall, 25 Kilometer. Hallo, Herr Taxifahrer, bitte merke du es doch auch, dass wir hier falsch sind! Ich sage nichts. Ich bin lange genug in der Stadt, um zu wissen, dass das nichts bringen würde. Vertrauen. Vertrauen. Ich mache die Augen zu. Der Taxameter schießt in schwindelerregende Höhen. Ich bin grade beim dreifachen Fahrpreis von dem was ich normalerweise zahle und ich bin noch nicht mal da wo ich hin will.

Als ich die Augen wieder öffne telefoniert mein Fahrer. Gottseidank, denke ich. Alles ist gut. Er hat gemerkt, dass wir falsch sind und fragt in der Zentrale nach dem Weg. Auch das habe ich gelernt in Peking. Nach 50 Minuten Irrfahrt nachts um halb vier komme ich endlich auf meinem Universitätsgelände an. Der Taxifahrer passiert das Tor und schäkert mit dem Wachmann. Er redet darüber, dass er den Weg nicht gefunden hat. Das verstehe ich auch ohne ein Wort zu verstehen.

Ich verhandle den Fahrpreis ohne Worte. Irgendwie versteht man vieles, auch ohne irgendwas zu verstehen. Zum Glück lacht der Fahrer über sich selbst und gibt zu, dass er sich verfahren hat. Selten ist das in Peking nicht. In einer Stadt, die sich an jedem Tag verändert, fällt die Orientierung manchmal schwer. In einer Stadt, die täglich neue Wege kennt, kennt keiner mehr den richtigen. Thank you for taking Beijing Taxi.

Um vier klingle ich an der Tür. Normalerweise kommt niemand so spät nachhause. Den Studenten ist das gar nicht erlaubt. Aber im Wohnheim für Expats wird hier zum Glück eine Ausnahme gemacht. Hier gibt es eine Pförtnerin, die mir um diese Uhrzeit noch öffnet. Privilegien für Ausländer. Gute Sache. Trotzdem glaube ich, dass ich die einzige Frau auf diesem Campus bin, die sich das Recht heraus nimmt und mitten in der Woche bis nachts um halb vier am anderen Ende der Stadt feiern geht. Nochnichtmal Jungs tun das hier. Ich fühle mich trotz Irrfahrt im Taxi und gefaktem Alkohol im Blut wahnsinnig cool.

Zwei Tage später allerdings die gleiche Prozedur. Ich steige in ein Taxi ein, halte dem Fahrer meine Karte unter die Nase, der zögert und fährt dann los. Leider in die falsche Richtung, wie ich merke. Der Fahrer merkt es nicht. Kenne ich schon denke ich. Doch dieses Mal behauptet der Fahrer Recht zu haben, hält irgendwo an und behauptet das wäre mein Campus auf dem ich seit bereits vier Wochen lebe. Nein, sage ich. Doch, sagt er. Nein, sage ich. Er, wütend: aussteigen. Er konsultiert zwei Kollegen, die ihm wohl bestätigt haben, dass das mein Ziel sei. Ich bleibe einfach sitzen und sage energisch: nein. Er wird zornig und schmeißt mich allen Ernstes nachts um halb vier aus dem Taxi. Ich stehe an irgendeiner gottverlassenen Kreuzung. Keine Menschenseele weit und breit um diese Zeit unterwegs. Noch nicht einmal die Straßen, die tagsüber verstopft sind, sind voll. Leere. Endlose Straßen. Mein Handyakku:leer. Den Stadtplan: zuhause vergessen, ausnahmsweise, sonst habe ich ihn immer dabei. Das war einer der seltenen Augenblicke in meinem Leben, in dem ich dachte: scheiße. Das ist jetzt richtig scheiße. Wie kommst du jetzt aus dieser Kacke wieder raus. Und das ist einer dieser Augenblicke in meinem Leben gewesen, in dem ich gespürt habe, wieviel Energie man auf einmal bekommt, wenn man merkt, dass man jetzt nur noch sich selbst hat und sonst niemanden mehr und wenn man es nicht schafft sich selbst aus diesem Schlamassel zu ziehen, ziemlich schnell noch weiter in der Scheiße landet. Ich musste heimkommen irgendwie. Keine Ahnung wo ich war. Irgendwann ist mir zum Glück ein Taxi begegnet, das einzige weit und breit. Ich reiße energisch meinen Arm hoch und vermutlich hatte ich einen ebenso energischen Gesichtsausdruck. Der Fahrer musste dabei einfach anhalten. Ich halte ihm meine Karte unter die Nase. Er nickt. Und ich, frage ok? Und er nickt noch mal zweimal. Das halte ich für ein gutes Zeichen. Fünf Minuten später war ich daheim. Lektion zwei beim Taxifahren: immer auf das Nicken warten! Thank you for taking Beijing Taxi.

10 Lektionen für`s Taxifahren in Peking:

1. Lektion fürs Taxifahren in Peking: 

  • Adresse in Schriftzeichen immer dabei haben und dem Taxifahrer vorzeigen!

2. Lektion fürs Taxifahren in Peking: 

  • versuche erst gar nicht, die Adresse auf chinesisch auszusprechen. Das misslingt, es sei dem man spricht fließend chinesisch.

3. Lektion fürs Taxifahren in Peking:

  • immer auf das Nicken warten: nickt der Fahrer, hat er Ahnung und kennt den Weg

4. Lektion fürs Taxifahren in Peking:

  •  zögert der Taxifahrer auch nur eine Sekunde: sofort wieder aussteigen! Da muss man hart bleiben. So jedenfalls meine Erkenntnis aus zahlreichen Taxi-Irrfahrten durch Peking. Zögern heißt keine Ahnung haben.

5. Lektion fürs Taxifahren in Peking:

  • komme einem Taxifahrer niemals mit Stadtplänen um die Ecke! Er wird das Weite suchen! Er wird mit einem Stadtplan nix anfangen können. Weiß nicht wie man einen Stadtplan liest, versteht nur chinesisch, kann nur Schriftzeichen lesen, was weiß ich. Jedenfalls fährt er aus Scham einfach weiter.

6. Lektion fürs Taxifahren in Peking:

  • steige niemals in ein schwarzes Taxi ein! Habe ich zum Glück nie gemacht. Schwarze Taxis sind immer Abzocker.

7. Lektion fürs Taxifahren in Peking:

  •  Immer die gelben Taxis nehmen! Immer energisch die Hand in die Luft reißen, um ein Taxi anzuhalten. Mit energisch meine ich auch energisch. Vor allem wenn du eine Frau bist. In China musst du energisch sein. Sonst kommst du nicht weit.

8. Lektion fürs Taxifahren in Peking:

  • Achte drauf, dass der Taxameter angeschaltet ist. Der Fahrpreis steht immer am Fenster. Keine Angst vor Abzocke haben.

9. Lektion fürs Taxifahren in Peking:

  •  Entspannen! Lehne dich auf die Rückbank und lass das Straßenchaos an dir vorbei ziehen. Rege dich nicht über den Verkehr auf. Rege dich nicht über das lautstarke sekündliche Hupen auf. Rege dich nicht über den Fahrstil des Taxifahrers auf. Er macht auch nur seinen Job. Meistens geht es gut. Also entspanne dich und genieße die komfortable Fahrweise durch das Stadtchaos.

10. Lektion fürs Taxifahren in Peking:

  • Vertrauen! In einem Land, in dem du niemanden verstehst und wo dich keiner versteht, fühlst du dich zuweilen wie ein kleines Kind. Lerne wie ein kleines Kind zu vertrauen. Beste Lektion überhaupt! Es geht immer irgendwie gut. Vertraue dem Taxifahrer. Vertraue seinem Fahrstil auch wenn er auf die Fahrradspur ausweicht. Er wird schon wissen was er macht.

Welcome to Beijing Taxi!

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