Nicoles Bekenntnisse: persönliche Gedanken zu Israel

Am Dienstag dieser Woche, am 12. Mai 2015, feierte man 50 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und Israel. 20 Jahre nach dem 2. Weltkrieg begannen beide Staaten wieder miteinander zu reden. Am selben Tag stehe ich in Israel, in der Hauptstadt Jerusalem, genauer gesagt im Israelischen Museum, indem man alles über die Geschichte Israels erfahren kann. Hier wird ebenfalls gefeiert: 50 Jahre Israelisches Museum, Luftballone werden verteilt und eine Bonbon-Statue wartet auf ihre Enthüllung, auf den Festakt am Mittag. 50 Jahre, ein Zufall das beides auf den selben Tag fällt? Ein Zufall, dass ich gerade an diesem runden Datum hier in Jerusalem stehe? Während Bundespräsident Gauck eine Rede hält und der israelische Staatspräsident Rivalin in Berlin zu Gast ist, schaue ich mir alte Schriftrollen an, die am Toten Meer gefunden wurden. Ist das nicht irgendwie krass? Der 12.05. ist plötzlich der Tag von Deutschland und Israel und es ist der Tag, an dem ich zum allersten Mal in Israel bin. Zurück in Deutschland lese ich im Spiegel einen Artikel über dieses Jubiläum und auf einmal wird alles viel greifbarer für mich, weil ich selbst vor Ort war, in Israel. Und ich kann nicht anders als ein paar Gedanken darüber niederzuschreiben.

unterwegs in Israel

Der israelische Präsident Rivalin sagte laut Spiegel online „Deutschland sei ein Leuchtturm der Demokratie in der Welt“ (Spiegel online, 12.05.2015). Nach allem was Deutschland den Juden im 2. Weltkrieg angetan hatte, ist diese Aussage mehr als eine diplomatische Floskel. Rivalin rechnet es hoch an, dass Deutschland die Verantwortung über die Verbrechen der Vergangenheit übernommen hat. Doch sowohl der israelische Präsident als auch der Deutsche Bundespräsident plädieren gegen das Vergessen gerade dieser dunklen Vergangenheit. Während ich als Deutsche Staatsbürgerin mitten durch Jerusalem spaziere, mache ich mir keine Gedanken über die Vergangenheit, über den Holocaust. Ich selbst kenne all das nur aus Geschichtsbüchern. Mein Opa väterlicherseits hatte niemals eine Waffe in der Hand, geschweige denn hatte er im Krieg gekämpft (er wurde ausgemustert und litt deshalb zeitlebens unter Schuldgefühlen, weil er seine Brüder in Stalingrad verloren hatte). Stattdessen steckte er dem französischen Zwangsarbeiter auf seinem Hof heimlich Lebensmittel zu, wofür er hätte bestraft werden können. Mein Vater erzählte mir oft davon wie die Freundschaft zu Moritz, der eigentlich Maurice hieß, noch Jahre nach dem Krieg anhielt, wie mein Opa meinen Vater ins Auto setzte und sie den Moritz an der französischen Nordatlantikküste besuchten und wie mein Vater dort als Knirps seine ersten Muscheln gesehen hatte. Mein Opa mütterlicherseits wurde in Budapest geboren und wurde nach dem Krieg als 15. Jähriger vertrieben. Er erzählte davon, wie das war, damals. Die vollgestopften Züge, die Vertreibung, die Frauen, die man in den Kellern versteckte, damit sie die Russen nicht in die Hände kriegen, die Fremdenfeindlichkeit als er ankam in Deutschland, in Lager gepfercht, nach Arbeit suchend. Er heiratete eine echte blonde und blauäugige Deutsche, gebürtige Hamburgerin. Seine Kinder, also meine Mutter, durften die ungarische Sprache nicht lernen und seinen Namen änderte mein Opa ab in einen wohlklingenden deutschen Familiennamen, aus Scham und auf der Suche nach einer neuen Identität. Das ist meine private Familiengeschichte. Das hat so gar nichts mit Israel zu tun. Oder dem Holocaust. Und trotzdem taucht in Gedanken zu Israel immer der 2. Weltkrieg und der Holocaust auf. Unsere Generation kann sich nicht erklären was damals abging, wir haben Antworten gesucht und keine gefunden und heute, heute ist die Welt doch so anders geworden. Als Kind hatte ich meine Großeltern Löcher in den Bauch gefragt: Oma, haben hier auch mal Juden gewohnt? Man redete nie gern darüber. Es war immer ein Schweigen da, das ich nie verstanden habe.

unterwegs in Israel

Menschen in Jerusalem: Juden im Gespräch

Ich habe mir weder vor oder während meiner Reise nach Israel über den Holocaust Gedanken gemacht. Die Sendungen im Fernseher zur Zeit schaue ich mir nicht mehr an, das Thema ist wirklich langsam durch, denke ich. Es ist solange her. Erst jetzt kommt das Thema mit dem Spiegel Artikel wieder in den Sinn. Ich kannte nie Juden, jedenfalls nicht bewusst. Als ich in Jerusalem bin, kann ich aber nicht aufhören, mir die Juden anzuschauen. Sie sehen so merkwürdig aus, zumindest die Orthodoxen mit ihren schwarzen Kutten, ihren schwarzen Hüten und langen Bärten, mit den gedrehten Locken, die an ihren Kotletten herunterbaumeln. Aber während ich sie mir so anschaue, denke ich, es sind eigentlich ganz normale Menschen. Sie haben die selben religiösen Hintergründe wie Christen. Sie tun niemanden was zuleide und sind freundlich. Ich kann als Deutsche durch diese Stadt gehen und werde nicht angefeindet, selbst dann nicht wenn ich mich als Deutsche zuerkennen gebe. Niemand hasst hier Deutsche. In Tel Aviv spielt das sowieso gar keine Rolle, da pulsiert die wahre Lebensfreude. Was damals geschah, ist heute nicht mehr zu erklären und das ist gut so.

unterwegs in Israel

Menschen in Jerusalem: orthodoxer Jude im jüdischen Viertel

 

Spiegel online berichtet von einer Bertelsmann Studie, nach der angeblich 68 % der Israelis ein positives Bild von Deutschland haben, doch kurioserweise ist das umgekehrt nicht der Fall. Im Gegenteil, die Hälfte aller Deutschen hätten ein schlechtes Bild von Israel und ständen der israelischen Regierung kritisch gegenüber. Zudem würde sich eine neue Welle des Antisemitismus in Europa ausbreiten. Ich will hier nicht allzu politisch werden. Dennoch wundere ich mich wie es die Juden schaffen, die Vergangenheit Vergangenheit sein zu lassen und gut über Deutschland denken, während die Deutschen allem Fremden kritisch gegenüberstehen. Gegen dieses Misstrauen könnte eine Reise nach Israel helfen, um sich ein eigenes Bild von dem Land und seinen Menschen zu machen. Soviel würde sich vielleicht ändern. Das ist immer so, wenn das Fremde plötzlich greifbar wird.

unterwegs in Israel

Menschen in Jerusalem: Jüdin betet an der Klagemauer

Und wenn ich wieder auf das Thema zurückkomme, wie das Reisen mein Leben verändert, dann beobachte ich an mir selber viel mehr Toleranz für Andersdenkende Menschen. Heute zum Beispiel bin ich in die S-Bahn eingestiegen. Da saß ein junger Inder mit einem gelben Turban auf dem Kopf, einem langen schwarzen Bart. Wahrscheinlich hätte ich mich früher soweit wie möglich von ihm weggesetzt, einfach nur weil er so merkwürdig aussieht. Heute setzte ich mich direkt neben ihn und fragte mich, wie es wohl für ihn sein muss als einziger in einer S-Bahn mit einem Turban auf dem Kopf zu sitzen. Wo früher Misstrauen gewesen wäre, ist heute gar nichts. Es ist so normal für mich geworden, dass es Menschen gibt, die anders sind. In Frankfurt sieht man viel davon. Und ich denke weder gut noch schlecht über andere, solange ich sie nicht kennengelernt habe.

unterwegs in Israel

Menschen in Jerusalem: Moslem im muslimischen Viertel

unterwegs in Israel

Und gerade auf den Gassen von Jerusalem laufen mir Araber, Juden und Christen über den Weg. Vielleicht duldet man sich hier gegenseitig.  Doch eigentlich ist gerade Jerusalem eine Stadt, in der es möglich ist, dass unterschiedliche Menschen nebeneinanderher leben können. Trotz aller Konflikte, auf die ich nicht eingehen will.

unterwegs in Israel

Menschen in Jerusalem: orthodoxe Christen beten und küssen den Grabstein auf dem Jesus gelegen haben soll in der Grabeskirche

Viel mehr fällt mir meine Abiturlektüre ein: Nathan, der Weiße von Lessing. Das Drama spielt in der Zeit als der Muselmann Sultan Saladin in Jerusalem herrschte, die Kreuzritter in Jerusalem waren und ebenso die Juden. Erst bekriegte man sich, dann musste der Mensch aller drei Religionen erkennen, dass alle einen Gott verehren, dass die gesamte Menschheit aus einer Menschenfamilie entsprungen ist und jeder irgendwie verwandt ist, mit dem der anderen Religion (Ringparabel). Jerusalem ist eine heilige Stadt für alle drei monotheistischen Weltreligionen. Für die Christen, weil hier Jesus von Nazareth, der Sohn Gottes, von dem Römer Pontius Pilatus zum Tode am Kreuz verurteilt wurde, dort gestorben und auferstanden ist. Für die Juden, weil hier im 10. Jahrhundert vor Christus der erste jüdische Tempel unter König Salomo errichtet wurde. Und die Muslimen verehren die Stadt, weil sie glauben, dass der Prophet Mohammed in der Al Aqsha Moschee auf dem Tempelberg in den Himmel aufgefahren ist, um sich dort mit anderen Propheten zu treffen.

unterwegs in Israel

Menschen in Jerusalem: Muslime im Souk

Und so schreite ich durch Jerusalem, ich denke nicht über die Vergangenheit nach, noch über die Konflikte des Nahen Osten. Es ist mir eigentlich egal ob Jerusalem den Juden, Muslimen oder Christen gehören soll oder ob sich Palästina mit Israel um die Stadt streitet. Religion hat zuoft viel zerstört. Aber die Werte, die jede Religion vermittelt, sind in allen drei Religionen die gleichen. Kurios, aber ein Fakt. Daher mache ich mir nicht viel daraus. Jeder soll an das glauben, an das er glauben will. Ich glaube daran, dass Begegnungen mit Menschen vieles bewirken können und Vorurteile verschwinden lassen. Mich interessieren auf meinen Reisen die Menschen, die mir begegnen, die unglaublichen Gebäude und religiösen Heiligtümer aller Religionen in Jerusalem, mich interessiert die faszinierende und abwechslungsreiche Landschaft Israels, die jahrtausendealten Ruinen und Zeugen der Menschheitsgeschichte. Ich lege keinen Fokus auf politische Debatten und religiöse Geschichten. Ich bin eine Reisende, die gerne Geschichten erzählt. Und deswegen bin ich nach Israel gereist und nun gehöre ich zu den Deutschen, die ein positives Bild von Israel haben.

 

unterwegs in Israel

Jerusaelm – die heilige Stadt für Juden, Christen und Muslime.

Ich wurde vom Israelischen Tourismusministerium zu dieser Pressereise nach Israel eingeladen. Vielen Dank dafür. Meine Gedanken und Meinungen sind davon nicht beeinflusst sondern entsprechen meinem persönlichen Empfinden.