Charmante Bergdörfer der Schweiz: Splügen in Graubünden
Es fühlt sich an wie eine Reise in das letzte Jahrhundert als ich in Splügen ankomme. Ich ziehe meinen Trolley über das holprige Steinpflaster uralter Wege. Das kostet Kraft, aber ich habe das Gefühl, das muss so sein an so einem Ort. Man muss ihn einfach spüren. Man muss eine Ahnung davon bekommen, was es heißt an so einen abgelegenen Ort zu kommen, wo die Menschen echte Arbeit verrichten. Schwere Handarbeit. Dass es überhaupt möglich ist, an so einen entlegenen Ort zu kommen, verdanke ich dem Postbus oder wie die Schweizer sagen, dem Postauto. Mit dem komme ich von Chur aus nach Splügen im Kanton Graubünden im östlichen Teil der Schweiz. Postauto fahren ist übrigens super: ich habe kostenloses Wifi und fahre dorthin, wo eigentlich die Welt aufhören könnte. Dorthin, wo man eigentlich eine Verbindung zur Welt nicht mehr erwarten würde. Doch das Postauto kennt den Weg, es fährt auch alle anderen noch so kleinen Dörfchen in der Schweiz an. Daher bin ich jetzt Fan vom Postauto. Es macht es mir als Nicht-Autobesitzerin möglich, all die charmanten Schweizer Bergdörfer aufzuspüren.
Im Hotel Bodenhaus quartierte sich einst die Noblesse Europas ein
Ich checke mich im größten Hotel des 400-Seelen Dörfchens ein, dem Hotel Bodenhaus. Es thront wie ein alter Herrensitz auf einem Hügel, auf dem Dach weht die Schweizer Flagge. Das Hotel bietet wirklich einen super Komfort für so ein kleines Bergdorf: kostenloses Wifi auf dem Zimmer, ein Wellness-Bereich mit Schwimmbad und Sauna, in die ich mich nach der anstrengenden Anreise erst mal setze und ein Weinkeller mit ausgezeichneten Tröpfchen bzw. auch die Küche und das Frühstücksbuffet sind gut. Das Haus lässt den alten Charme vergangener Zeiten noch erahnen, die neuen Besitzer wollen dem Bodenhaus den alten Glanz zurück geben. Denn das Bodenhaus war schon immer ein Hotel für die Noblesse, die den Weg nach Splügen fand. In den Gästebüchern stehen berühmte Namen wie: William Turner, Friedrich Nietzsche, Hans Christian Andersen, Albert Einstein, Napoleon III. oder Erzherzog Ferdinand Maximilian von Österreich. Kaum zu glauben, dass ich in den selben Räumlichkeiten nächtige. Aber was hatten all diese vornehmen und Gelehrten Persönlichkeiten ausgerechnet in einem so entlegenen Bergdorf wie Splügen zu suchen?
Als ich nach dem Check-in einen Entdeckungsspaziergang durch das 400-Seelen Dorf mache, verzaubert mich das kleine Schweizer Bergdorf auf Anhieb. Die Sehnsucht nach der heilen Welt, die solche Bergdöfer ausstrahlen, nimmt innerlich so sehr Besitz von mir, dass ich anfange von einem Leben in völliger Einöde zu träumen.
Splügen: Wo Zeit keine Rolle spielt
In Splügen ist die Zeit stehengeblieben. Wirklich. Du kannst hier ankommen und deine Uhr ganz tief unten in deinem Koffer verstauen. Du wirst sie hier nicht brauchen, denn alles hier fließt langsam vor sich hin, hat seinen eigenen Rhythmus, dem du dich schnell ganz automatisch anpassen wirst und dieser Rhythmus, der geht im Gleichschritt mit der Natur, die dich umgibt. Das einzige was du hörst ist der Gebirgsbach (der Hinterrhein), der vom Berg ins Tal rauscht und die Glocken der Milchkühe, die auf den Almwiesen gemütlich vor sich hin grasen. Sie geben die Milch für den besten Bergkäse, den ich je gegessen habe.
Es ist immer wieder erstaunlich wie einen vermeintlich belanglose Orte in Verzücken versetzen können. Hier in Splügen, knipse ich die halbe Speicherkarte meiner Kamera voll, weil sich hinter jedem Winkel so viel mehr verbirgt. Verwunderlich ist das nicht, Splügen hat sogar einen Preis erhalten, weil es ein intaktes und authentisches Dorfbild abgibt, das noch immer so aussieht wie vor200 Jahren. Damals hatte das Dorf bessere Zeiten erlebt. Es war eines jener berühmten Passdörfer. Wer von Nord nach Südeuropa wollte, musste den Weg über die Schweizer Alpen nehmen und dieser steinige und erschwerliche Weg führte immer durch Splügen. Schon die Römer schleppten ihre Waren hier über die Alpen, später im Mittelalter kamen die Händler, die Gaukler, die Raubritter und die Geistlichen. In Splügen versammelten sie sich alle, wechselten die Pferde und Esel, luden ihre Karren auf mit Proviant und beteten ein Ave Maria für den gefährlichen Weg über den Splügenpass. Es war ordentlich was los in dem kleinen Bergdorf. Es war die Zeit, in der das Hotel Bodenhaus all die berühmten Persönlichkeiten beherbergte. Schlagartig hörte der Verkehr über den Alpenpass auf als der Gotthard-Tunnel gebaut wurde. Die Händler und Reisenden konnten nun den angenehmen und bequemen Weg durch den Tunnel nehmen und mussten nicht mehr das Risiko des Passweges auf sich nehmen. Für Splügen bedeutete das das wirtschaftliche Aus. Die Händler und Reisende blieben aus, die Waren fehlten, die Hotelbetten blieben leer. Ein Großteil der Bergdorfbewohner wanderte nach Amerika aus. Übrig sind die Nachfahren der Säumer, die 400 Köpfe der Gemeinde, die dem Bergdorf noch heute seinen ganz besonderen Charme geben.
Wie die Splügener ihr Dorf retteten
Man wollte das Dörfchen sogar überschwemmen und einen Stausee daraus machen. Man stelle sich das einmal vor, da wo heute der Kirchturm in den wolkenbehangenen Himmel ragt, sollte ein Stausee sein? Auf einer Höhe von immerhin 1450 Metern. Die Splügener wollten das nicht wahrhaben. Die Bauern wollten sich nicht so einfach ihre Existenz, ihren Lebensraum nehmen lassen und zettetelten einen Aufstand an. Mit Erfolg, das Dorf blieb erhalten. Und so können wir uns noch heute an den alten Holzhäusern freuen, die ihre Einflüsse von den Walsern haben und an den italienisch geprägten Steinhäuserfassaden, in denen einst die Kaufleute, die Warenzüge beobachteten. Splügen, ja, das hat Geschichte, das ist urig und charmant, weil seine Bewohner stur blieben und den Charme alter Zeiten und Traditionen erhielten. Mich freut es. Meine Speicherkarte ist fast voll, denn Splügen ist vielleicht klein, aber es besteht aus vielen Details, die im Ganzen ein stimmiges Bild abgeben.
Infos zu Splügen:
Splügen liegt auf 1450 Metern ü. M. Es gehört zum Kanton Graubünden, dem größten Kanton der Schweiz. Splügen grenzt nah an Italien und befindet sich in der Region Viamala, zu der auch die Viamala Schlucht gehört.
Anreise nach Splügen:
Flughafen Zürich mit der Bahn nach Chur (Hauptstadt von Graubünden), von dort mit dem Postauto nach Splügen. Das Postauto ist immer pünktlich und verlässlich gewesen. Große Gepäckstücke können mitgenommen werden, außerdem hat man kostenloses Wifi während der Fahrt. Die Haltestelle befindet sich fußläufig zum Hotel Bodenhaus.
Übernachten in Splügen:
Hotel Bodenhaus: www.bodenhaus.ch
Tipp: Käse kaufen in der Sennerei – der schmeckt sensationell gut und wird ausschließlich von den Milchkühen auf den Almen in Splügen produziert.
Infos zur Geschichte der Säumer
Wer sich näher für die Kulturregion in und um Splügen herum interessiert und wissen will, wie das Leben eines Säumers war, der findet in der Casa Storica unter der Führung von Erwin Dirnberger, ausführliche Informationen. In dem Heimatmuseum sind alte Gegenstände aus dem Berg- und Bauernleben zu finden, Postkarten der Reisenden von damals und vieles mehr. Die Casa Storica befindet sich in Andeer. Eine Führung dauert 2,5 Stunden und kostet 25 CHF. Infos bei Tourismus viamala.ch.
Swiss Pass
Mit dem Swiss Pass kann man alle öffentlichken Verkehrsmittel wie Züge, Postauto, Rätische Bahn und Trams in der ganzen Schweiz kostenlos nutzen. Zustätzlich erhält man freien Eintritt in Museen. Ich hatte den Swiss Pass für acht Tage in der 1. Klasse und war sehr zufrieden damit.
Vielen herzlichen Dank an Graubünden Ferien für die Einladung nach Splügen.
Ich würde sehr gerne in ein kleines, altes, Häuschen wohnen zur Miete oder eventuell kaufen; an wem kann man sich in der Schweiz wenden, um Informationen zu bekommen?