Mondäner Inselcharme auf Norderney

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Ein Tag am Strand der Nordseeinsel Norderney

Ein Tag auf Norderney.

Wenn man in Süddeutschland aufgewachsen ist, dann fährt man meist gen Süden und somit ist mir der Norden Deutschlands auch ziemlich unbekannt geblieben. Dass dieser aber auch seinen Reiz hat, und dass es dort entgegen aller süddeutscher Vorurteile auch nicht immer regnet, habe ich bei einem Trip auf die ostfriesische Nordseeinsel Norderney entdeckt.
Was mir sofort auffällt, sind zwei Dinge: das Licht und die Luft. Das Licht Norddeutschlands zeichnet die Landschaften in wunderschöne, farbenfrohe Gemälde, die ich in dieser Intensität im Süden noch nirgends entdecken konnte. Und die Luft vermittelt einem beim Einatmen ein Gefühl der totalen Freiheit als würde man durch eine Brise reinen Sauerstoffs innerlich gereinigt wie bei einer Dusche mit Sommeraromen.

Mit der Fähre auf Norderney angekommen, schwelgt uns beim Bummel durch das Städtchen sofort dieser mondäne Charme eines Kurorts aus dem 19. Jahrhundert entgegen – ganz so habe ich mir die Badeorte in Theodor Fontanes und Eduard von Kesyerlings Romanen immer vorgestellt. Tatsächlich errang das Seebad bis zur Jahrhundertwende Ruhm und Glanz in der Welt des Adels. Vor allem die damals weitverbreitete Tuberkulose wurde hier kuriert, Kafka verbrachte seinen letzten Sommer hier. In der Kaiserstraße drängt sich Prachtbau an Prachtvilla in der typischen ganz in weiß gehaltenen Bäderarchitektur mit klassizistischen Elementen. Während ich durch die Straße gehe, spielen sich vor meinem inneren Augen all die Romanszenen ab: gelangweilte Ehefrauen in ellenlangen schweren Kleidern, die sie durch Dünenlandschaften schleppen, Prinzessinnen, die sich in junge, gutaussehende Offiziere vergucken oder bei Klatsch und Tratsch auf der Sonnenterrasse eines Nobelhotels sitzen. Der süße Duft der Sommerlangweile swingt beim Bummel durch die Straße mit, begleitet von einem Hauch zarter Romantik. Es sind vergangene Zeiten, doch die Badehäuser und Kurparks zeugen noch immer von dieser Epoche.

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Norderney – mondäner Inselcharme

Gegenüber vom Kurhaus lassen wir uns jedoch erstmal ein Matjes nach Hausfrauenart schmecken, der zarter hätte nicht sein können. Das ist auch so eine Sache: das Essen im Norden ist ein Traum! Natürlich muss man hier Fisch essen, und der schmeckt frisch aus der Nordsee um Weiten besser als der Fisch in Süddeutschland, ich schwöre es. Nach diesem Gaumenschmaus schlendern wir weiter zur Strandpromenade, vorbei an den großen Luxushotels, vorbei an tausenden von Strandkörben bis wir hinter einer Sanddüne fast keine Menschenseele mehr entdecken können. Dort machen wir es uns bequem, blicken in den wolkenlosen Himmel, beobachten die Möwen im Sand, den Wind, der durch das Dünengras streicht und wagen uns schließlich ins Wasser, das ziemlich frisch ist. Es weht eine steife Brise hier oben im Norden. Sie schmeckt nach Salz und tut meiner Haut gut. Dass ich trotz Sonnenschein und hohen Temperaturen eine Gänsehaut habe, als ich aus dem Wasser komme, nehme ich angesichts der vielen anderen Vorteile, die sich mir hier oben auf der Norderney bieten, in Kauf.

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habe ich schon erwähnt, dass ich das Meer liebe? Strand von Norderney

So dümpelt der Nachmittag dahin und fast hätten wir vergessen, dass die letzte Fähre bald fährt. Hektisch brechen wir auf, doch den Rückmarsch zur Fähre haben wir unterschätzt, jedenfalls kam uns der Hinweg wesentlich kürzer vor, aber wir mussten ja bis ans letzte Ende des Strandes gehen! Wir laufen so schnell wir können – was wäre wenn wir die Fähre verpassen würden? Würden wir uns in eines dieser Fünf-Sterne-Hotels direkt an der Strandpromenade einmieten oder im Sand schlafen und morgen zurück fahren? Ich musste doch meinen Zug zurück nach Süddeutschland kriegen und meine Zahnbürste war drüben, auf dem Festland. Mein Freund machte sich natürlich lustig über meine Engstirnigkeit, die in einem romantischen Inselaufenthalt und dem Wind aus Freiheit, der hier wehte, nichts zu suchen hatte. Glücklicherweise hat sich ein Autofahrer bereit erklärt uns zur Fähre zu fahren und gerade mit dem letzten Gong konnten wir einsteigen. Glück gehabt, oder doch nicht? Weil es gar nicht so schlimm gewesen wäre noch einen Tag länger auf dieser charmanten Insel zu verweilen?

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Auf dem oberen Deck der Fähre blicke ich solange auf die Insel bis sie nur noch ein kleiner Punkt wird. Die Sonne geht unter und der Himmel färbt sich in ein atemberaubendes Violett. Während ich auf die See starre als würde ich den Anblick nie mehr genießen können, versorgt mich mein Freund mit einem Lachsbrötchen und einem Radler, das im Norden Alsterwasser heißt, und als kleine Erinnerung an diesen Ausflug bringt er mir eine kleine Robbe aus Plüsch vom unteren Deck mit. Ich halte es für einen Scherz als er mir erzählt, dass es hier Seehunde gibt. Aber kurz darauf erblicke ich tatsächlich Seehunde, die sich auf einer Sandbank mitten in der Nordsee suhlen! Es sind meine ersten Seehunde in freier Wildbahn und ich freue mich darüber wie ein kleines Kind, weil sie so selten zu sehen sind, sagt mein Freund. Es ist ein gutes Omen, Seehunde zu sehen, denke ich. Das Radler, das Lachsbrötchen und die Seehunde, das ist ein perfekter Augenblick. Ein Augenblick, der bleiben wird. Für immer. Morgen werde ich zurück fahren nach Süddeutschland und mein Freund wird in Norddeutschland bleiben, das wird nicht gehen mit uns, aber der Norden kann ja nichts dafür. Er hat mich überzeugt, ich komme wieder!

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Nordlichter: Das Licht an der Nordsee ist besonders schön

 

Literaturtipp:

  • Wellen Eduard von Keyserling
  • Unwiderbringlich oder Effi Briest von Theodor Fotane
  • Die Herrlichkeit des Lebens von Michael Kumpfmüller

Kafka entdeckt während seiner Kur an der Nordsee seine letzte Liebe seines Lebens und heiratet sie. Während die Tage im Sommer an der See noch beschwingt sind, begleitet ihn seine letzte Liebe in Berlin bis in den Tod. Ein starker Roman über die Liebe und das Leben.